Stellungnahme zu den Beratungen des
G-BA zu Qualitätsanforderungen an „Hebammenkreißsäle“

Gemäß § 136a Absatz 7 SGB V (neu) sollen bis zum Sommer 2025 Qualitätssicherungsmaßnahmen für Kreißsäle beschlossen werden, die von einem Krankenhaus betrieben und von einer in dem Krankenhaus angestellten Hebamme geleitet werden. Hierzu wird der G-BA in Kürze mit den Beratungen beginnen.

Wir, die ärztlichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die die ärztliche Versorgung von Schwangeren und deren Neugeborenen maßgeblich verantworten, möchten uns in diese Beratungen intensiv einbringen. Gemeinsam sind wir der Auffassung, dass eine dem 21. Jahrhundert zeitgemäße geburtshilfliche Struktur eine adäquate, risikoadaptierte und zeitnahe Versorgung jeder Schwangeren und jedes Neugeborenen in bestmöglicher Qualität ermöglicht, wie diese in der QRF-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses verbindlich beschrieben sind.

Es ist gleichzeitig unser gemeinsames Ziel, eine physiologische und interventionsarme Geburtshilfe bei maximaler Sicherheit für Mutter und Kind zu gewährleisten. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang explizit die Etablierung „hebammengeleiteter Kreißsäle“ unter dem Dach einer Klinikstruktur mit 24/7 geburtshilflich fachärztlicher Präsenz und permanenter Arzt-/Ärztinnenpräsenz der Kinderklinik.

Daraus ergibt sich auch, dass der Terminus „Hebammenkreißsaal“ verwendet werden sollte und nicht „hebammengeleiteter Kreißsaal“. Auch der Deutsche Hebammenverband e. V. und der Verbund Hebammenforschung wählen den Begriff „Hebammenkreißsaal“ und zertifizieren diesen unter dieser Bezeichnung. Die Leitung eines Kreißsaals obliegt in jeder Versorgungsstufe Ärztinnen, Ärzten und Hebammen gemeinsam. Der Begriff „Hebammenkreißsaal“ beschreibt dagegen eine Betreuungsform und nicht die administrative und medizinische Gesamtverantwortung für einen Kreißsaal, wie es der Begriff „hebammengeleiteter Kreißsaal“ impliziert.

Die Aufnahme in einen Hebammenkreißsaal ist dabei an definierte Aufnahmekriterien gebunden, die ca. 10–20 % aller Gebärenden erfüllen. Trotz fehlender Risiken liegt bei diesen Frauen die Überführungsquote in einen interprofessionell geleiteten Kreißsaal bei 40–60 % [1– 3].
Dies zeigt deutlich, dass ein Hebammenkreißsaal nur in direkter Kooperation und Nähe mit einer durch Ärzte und Ärztinnen sowie Hebammen gemeinsam geleiteten Geburtshilfe möglich ist. Nur ein solches integriertes Tür-an-Tür-Konzept stellt in Notfallsituationen die gemäß der AWMF-Leitlinie 087–001 geforderte Entscheidung-Entbindungszeit (E-E-Zeit) von 20 Minuten sicher [4].

An konkreten Ergebniszahlen der Perinatalerhebung (IQTIG PM-Geb: Geburtshilfe, Erfassungsjahr 2023, Auswertungsjahr 2024; AJ 2024 nach DeQS-RL PM-GEBH) lässt sich die Notwendigkeit einer sofortig verfügbaren fachärztlichen Handlungskompetenz in jeder Kreißsaalform demonstrieren:

  • ungeplante Kaiserschnitte bei Erstgebärenden mit spontanem Wehenbeginn und reifem Kind: 19,75 % (n = 33 456 Geburten)
  • ungeplante Kaiserschnitte bei Mehrgebärenden mit spontanem Wehenbeginn und reifem Kind: 4,14 % (n = 6879 Geburten)
  • Notfallkaiserschnitt, d. h. aus lebensbedrohlicher Indikationsstellung schnellstmögliche Geburt des Kindes mit Erfüllungsfrist: lt. Fachliteratur < 10 min, IQTIG-Qualitäts-Indikator < 20 min (n = 8920 Geburten)
  • Schulterdystokie (lebensbedrohliche) Einklemmung der Schulter im Becken nach Geburt des Kopfes: 0,75 % (n = 3936 Geburten)
  • (vital bedrohlicher) Blutverlust unter oder nach der Entbindung von mehr als 1000 ml: 2,30 % (n = 15 261 Geburten)
  • Dammrissverletzungen nach Spontangeburt Grad I–IV: 29,4 % (n = 195 268 Geburten); davon schwerwiegende, höhergradige Dammrisse Grad III°/IV° (d. h. mit Einriss des Afterschließmuskels und/oder des Enddarmes): 1,50 % (n = 5931 Geburten)

Der weitaus größte Teil dieser betroffenen Schwangeren waren risikofrei und hätten gemäß Auswahlkriterien in einem Hebammenkreißsaal gebären können. Bei fehlender fachärztlicher Präsenz wäre eine Verzögerung des Behandlungsstandards die zwingende Folge.

Die Absicht, „im Rahmen der Weiterentwicklung von Leistungsgruppen und Qualitätskriterien gemäß § 135e anschließend zu prüfen, inwieweit die Vorgabe der Verfügbarkeit von Fachärztinnen und Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe bei Geburten durch einen von Hebammen geführten Kreißsaal ersetzt werden kann“, halten wir für anachronistisch und nicht tolerabel; ohne die Rund-um-die-Uhr-Anwesenheit fachärztlicher Expertise im Kreißsaal kann eine maximale Sicherheit von Mutter und Kind nicht gewährleistet werden.

Aus diesem Grund stimmen sowohl die ärztlichen Fachgesellschaften als auch der Deutsche Hebammenverband e. V. (DHV) sowie die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V. (DGHWi) darin überein, dass die Sicherstellung der Facharztverfügbarkeit durch einen Bereitschaftsdienst (in Präsenz/Anwesenheit im Haus), und ausdrücklich nicht durch einen Rufdienst zu realisieren ist.

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. hat zwei Modelle zu Versorgungsstrukturen in der klinischen Geburtshilfe entwickelt, die den verschiedenen Aspekten der Versorgungs- und Ergebnisqualität in der Geburtshilfe gerecht werden sollen und je nach regionaler Situation angewendet werden können. Beide Modelle sehen einen hebammengeleiteten Kreißsaal in unmittelbarer räumlicher Nähe zu ärztlich geleiteten Strukturen mit Facharztpräsenz als einen essenziellen Bestandteil vor [5].

Gemeinsam mit den Hebammenverbänden haben wir das Ziel, die interprofessionelle, bedarfsgerechte Versorgung der Gebärenden zu verbessern und die Kompetenzen beider Berufsgruppen zum maximalen Benefit für Mutter und Kind zu nutzen.

Neben der in ihrer Meldung [6] beschriebenen Einbeziehung der Berufsverbände der Hebammen erwarten wir daher ebenfalls eine Einbeziehung der ärztlichen Fachgesellschaften. Hierzu stehen wir gerne bereit.

Mitzeichnende Fachverbände

  • Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG e. V. (AGG)
  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG)
  • Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin e.V. (DGPM)

Kontakt:

https://dgpgm.de/kontakt

Postanschrift:
Priv.-Doz. Dr. med. Dietmar Schlembach
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin (DGPGM)
Klinik für Geburtsmedizin – Vivantes Klinikum Neukölln

Rudower Straße 48
12351 Berlin

Stellungnahme zu den Beratungen des GBA zu Qualitätsanforderungen an Hebammenkreißsäle

 

Literatur

  1. Merz WM, Tascon-Padron L, Puth MT et al. Maternal and neonatal outcome of births planned in alongside midwifery units: a coort study from a tertiary center in Germany. BMC Pregnancy Childbirth 2020; 20: 267. DOI: 10.1186/s12884-020-02962-4
  2. Andraczek T, Magister S, Bautzmann S et al. Integration eines hebammengeleiteten Kreißsaals in einem Perinatalzentrum. Geburtshilfe Frauenheilkd 2022; 82: e15–e16. DOI: 10.1055/s-0042-1749705
  3. Andraczek T, Magister S, Bautzmann S et al. Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal eines Perinatalzentrums – Lernkurve, Ergebnisse und Benchmark. Z Geburtshilfe Neonatol 2023; 227: 364–376. DOI: 10.1055/a-2082-2176
  4. Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin e.V. (DGPM). S2 k-Leitlinie Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der perinatologischen Versorgung in Deutschland. Online (Stand: 07.04.2025): https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/087-001
  5. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. Fachempfehlung „Modelle zu Versorgungsstrukturen in der klinischen Geburtshilfe in Deutschland“. Online (Stand:07.04.2025): https://www.dggg.de/stellungnahmen/fachempfehlung-modelle-zu-versorgungsstrukturen-in-der-klinischen-geburtshilfe-in-deutschland
  6. Gemeinsamer Bundesausschuss. Arbeitsauftrag aus dem KHVVG: G-BA berät Qualitätsanforderungen an hebammengeleitete Kreißsäle. Online (Stand: 26.02.2025): https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1233/